In Mexiko – wo ich lange gelebt habe – gibt es eine ganz besondere Tradition mit dem Tod umzugehen, die mich von Anfang an fasziniert hat. Die Familie des Verstorbenen arrangiert einmal im Jahr, an den Totentagen, den „Dias de los Muertos“, zu Hause eine Art Erinnerungsaltar auf dem sich alle Dinge befinden, die der geliebte Mensch zu Lebzeiten gemocht hat: gutes Essen, Musik oder eine bestimmte Sportart. Ein Totenschädel aus Zuckerguss mit dem Namen des Verstorbenen wird liebevoll darauf gestellt. Diese Schädel sind bunt und hübsch anzusehen und keineswegs angsteinflößend oder unheimlich.
Man geht davon aus, dass die Seelen der Verstorbenen sich während der Totentage, einen Weg nach Hause bahnen, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Am dritten Tag begleitet man die Verstorbenen mit viel Essen zum Friedhof zurück. Gemeinsam isst man am mit Blumen und Kerzen geschmückten Grab, weint, lacht und erinnert. Ein schönes, tröstendes Ritual, das mir von Anfang an gefallen hat.
Vor ein paar Monaten ist mein Vater gestorben. Auch wenn es ihm schon lange sehr schlecht ging, kam sein Tod für uns überraschend. Wir hatten uns an seinen Zustand gewöhnt und wurden von seinem Tod irgendwie überrumpelt. Mir wurde sehr schmerzlich bewusst, wie wichtig Rituale sind, wenn jemand, den man geliebt hat, aus dem Leben scheidet. Man bleibt alleine zurück mit all’ den Erinnerungen. Man bereut so manchen Streit und ist traurig über all’ das Ungesagte. Man verschickt Todesanzeigen, um Freunde und Bekannte zu informieren und freut sich über jedes tröstende Wort und jede geteilte Erinnerung, die nochmal zur Sprache kommt. Noch immer habe ich seine Nummer nicht aus meinem Telefon gelöscht, das käme mir zu endgültig vor. Im Großen und Ganzen sind wir recht hilflos im Umgang mit dem Tod.
Angesichts der Unfassbarkeit des Todes erscheint mir die mexikanische Art damit umzugehen als der einzig mögliche Art: man muss ihm fest in die Augen sehen, ihn akzeptieren und mit ihm lachen. Gerne würde ich mit einem Festmahl beim Grab meines Vaters erscheinen: ich weiß, dass ihm das gefallen hätte.